Die Geschichte

Missionsstation der Franziskanerinnen - Vision & Motivation

Von Schwester Gratias Ruf

Der Ruf

Im Jahre 1993 schrieb eine Schweizer Kirchenzeitung über die Situation in Albanien. Diese Beschreibung war für mich ein Aufruf, mich für einen Einsatz in Albanien zu entscheiden. Sr. Bernadette Ebenhoch, die mit mir im Krankenhaus in Dillingen tätig war, entschloss sich ebenfalls, mit mir zu gehen. Warum? Motiviert durch das Evangelium Jesu Christi und um den Armen nahe zu sein.

 

Nach Rücksprache mit den Vorgesetzten nahmen wir Verbindung auf mit Pfarrer Dr. Adolf Fugel, der den Artikel über Albanien geschrieben hatte. Pfr. Fugel war selbst in Albanien und besuchte den Ort Kallmet. Dass die Vorgesetzten über den Weggang von zwei Schwestern nicht begeistert waren, ist wohl verständlich. Dennoch fühlte ich mich sicher, dass dieser Weg für mich der richtige ist.

Einige Mitschwestern und meine Familie bestärkten mich in diesem Vorhaben. Vor allem meine Schwester Maria mit ihrem Mann sorgten sich unermüdlich in allem, was wir für einen Neuanfang in Kallmet benötigten.

 

Meine Tätigkeit als Röntgenassistentin im Krankenhaus machte ich sehr gerne. Ich beobachtete doch längere Zeit, dass die Ansprüche der Patienten und auch des Personals ständig stiegen und die Unzufriedenheit zunahm. Darüber dachte ich öfters nach und überlegte, ob diese Tätigkeit noch meine Aufgabe sei?

Es war die ungeheure Armut der Menschen in Albanien, wie diese beschrieben war und auf den Fotos dargestellt wurde, die mich anzog.

Ankunft in Fushë-Arrëz

Unser 1. Wirkungsfeld war in Kallmet. Das, was ich jedoch hier erlebte, entsprach nicht meiner Vorstellung einer Missionstätigkeit. Der damalige Erzbischof von Shkodër bat uns, nach Fushë-Arrëz, in die Bergregion zu gehen. Dort hatte er ein im Bau befindliches Hotel gekauft, dessen Besitzer jedoch pleiteging.

Was wir in Fushë-Arrëz vorfanden, war Armut und Verlassenheit pur. In Tirana, Lezhë und im Flachland waren bereits Hilfsorganisationen angekommen, um den Menschen zu helfen. In den Bergen war noch niemand. Als wir mit unserem kleinen LKW in einem alten Hotel der Stadt ankamen, erschien sogar der Bürgermeister und konnte es nicht glauben, dass da deutsche Ordensschwestern nach Fushë-Arrëz kamen.

 

Den Leuten fehlte es an Lebensmitteln, Kindernahrung, Kleidung, jeglicher medizinischer Versorgung. Sie litten unter den sehr schlechten Wohnverhältnissen.

Unser Anliegen war es, den Menschen zu einem menschenwürdigeren Leben zu verhelfen. Dieses Anliegen ist bis heute noch aktuell.

Zur gleichen Zeit setze der Erzbischof von Shkodër – zu dessen Diözese wir damals gehörten – den heutigen Kardinal Don Ernest Simoni als Pfarrer von Fushë-Arrëz ein.

 

Mit uns kam eine Gruppe freiwilliger Helfer von der Diözese Orvieto-Todi/Italien. Diese Helfer begannen mit der Arbeit an dem vom Erzbischof erworbenen Objekt. Es verliefen acht Monate, bis endlich „unser“ Haus beziehbar war.

Die erste Kirche und das Hausbauprojekt

Ein ganz wichtiger Schritt war folgender: Die Kleinstadt Fushë-Arrëz wurde in der kommunistischen Zeit als Arbeiterstadt gebaut. Es gab keine Kirche. Den 1. Tabernakel errichteten wir in dem alten Hotel, wo wir einen Raum als Kapelle einrichteten. Hier fand auch der erste Katechismusunterricht statt. Die Sonntagsgottesdienste feierten wir in der Kirche St. Sebastian im Dorf Fushë-Arrëz.

Es war für uns ein großes Anliegen, möglichst rasch in der Stadt eine Kirche zu errichten. Das bisherige Baumagazin erwies sich als geeigneter Raum für eine Kapelle. Im Nov. 1995 feierten wir dort die erste hl. Messe.

Erst im Dezember 1995 waren die Bauarbeiten des Hauses soweit fortgeschritten, dass wir hier einziehen konnten.

 

Wir erkannten sehr rasch, welche Aufgaben uns hier erwarteten: Hilfstransporte kamen und die Menschen in der Stadt und in den umliegenden Dörfern erhielten Kleidung, Lebensmittel und medizinische Versorgung. Kinder wurden zu uns gebracht und lebten mit uns. Es ergab sich die Notwendigkeit, einen kleinen Kindergarten zu errichten. Ebenso wuchs die Teilnehmerzahl an den Nähkursen. Schließlich wurde das Haus zu klein.

Mein Bruder Carl beriet mich in allen Bauangelegenheiten. Er kam selbst, um sich ein Bild über die Situation zu machen. Meine Schwester Rita kümmerte sich um die finanziellen Angelegenheiten.

 

Die Zahl der Hilfesuchenden wuchs ständig. Sr. Bernadette und ich fanden im Laufe der Jahre immer mehr Helfer, um so mancher Familie ein neues Haus zu bauen, Tierprojekte zu finanzieren, Medikamente zu kaufen und gute Kindernahrung ins Land zu bringen.

Revolution und Krieg

In das Jahr 1997 fiel die Revolution in Albanien. Durch den Zusammenbruch des Finanzsystems aufgrund von immensen Spekulationen gerieten die Menschen in große Not und wurden gegen die Regierung sehr aufgebracht. Die Leute stürmten die Munitionsmagazine. Maschinengewehre, Munition und Granaten waren bald in jeder Hand. So wurde die gesamte Lage äußerst gefährlich. Wir erlebten, wie das Konvikt unterhalb unseres Geländes geplündert wurde und in diesem Zuge sollte auch unser Haus geplündert werden. Mit einem Chauffeur fuhr Sr. Bernadette zum Erzbischof, um Hilfe zu suchen. Glücklicherweise fand Sr. Bernadette Zugang zum Militärlager in Shëngjin und am selben Tag überflogen einige Hubschrauber der internationalen Truppe unsere Stadt. Die Straßen waren sofort wie leergefegt, denn alle hatten Angst.

 

Im März 1999 begann der Krieg im Kosovo. Tausende Kosovaren flohen nach Albanien. Fast jeden 2. Tag fuhren wir mit einer großen Lieferung Brot und anderen Lebensmitteln an die Grenze, um den Ankommenden und meist ausgehungerten Menschen zu helfen. Über Wochen hindurch zog die Karavane der Flüchtenden mit Traktoren, Kleinlastern und Privatfahrzeugen durch Fushë-Arrëz. Mütter mit ihren Kindern und ältere Menschen flohen vor den Grauen, die sich in der Heimat abspielten. Im Mai desselben Jahres drangen in einer Nacht 5 bewaffnete Männer in unsere Wohnung ein, fesselten Sr. Bernadette und mich und suchten nach Geld. Wir brauchten Zeit, um uns von diesem Schock zu erholen.

Vergrößerung der Station

Eine schwere Hürde war die Erreichung der Baugenehmigung für unsere Missionsstation. Für mich war es eine sehr große Erleichterung, als ich diese nach jahrelangen Kämpfen in Händen halten konnte.

 

Durch die Vergrößerung der Anlage und die Erweiterung der Aufgaben wurde es notwendig, Arbeiter für die verschiedenen Bereiche zu finden. Den Lohn erhielten diese wöchentlich in die Hand. Eines Tages kam ein Beamter und forderte, wenn die Angestellten nicht binnen 4 Wochen in die staatliche Versicherung aufgenommen werden, muss ich für jede Person 5.000,-DM Strafe bezahlen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als diese Prozedur anzupacken.

 

Seit Beginn sind wir die Anlaufstelle für alle Anliegen der Bevölkerung. Staatliche Hilfen gibt es so gut wie nicht. Die Menschen kommen mit gesundheitlichen Problemen, in finanziellen Schwierigkeiten, bitten um eine Haus- oder Dachreparatur oder einen Neubau, den Bau eines Stalles, eine Kuh, Ziegen oder Schafe, betteln um Kleidung, Lebensmittel, Einrichtungsgegenstände usw.

 

Wir sind von der Bevölkerung gut akzeptiert. Wer würde sich um die Armen kümmern, wenn wir nicht da wären?

 

Bisher hat sich der Neubau rentiert. Allerdings ist die Zahl der Kinder in der Tagesstätte rückläufig, da es einmal weniger Geburten gibt und viele Familien wegen der Arbeitslosigkeit die Bergregion verlassen.

 

- Schwester Gratias Ruf, 28.01.2019


Weiterführende Themen

Die Situation vor Ort

Um die Situation der Menschen in Fushë-Arrëz zu verstehen, muss man die Situation des Landes verstehen.

Unsere Projekte

Um der Bevölkerung zu helfen, führen wir aktuell diverse Projekte mit ganz unterschiedlichen Zielrichtungen durch.