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Manchmal braucht es das Fremde, um das Eigene klarer zu sehen

Ich bin Br. Jens Kusenberg, bin 37 Jahre alt und komme ursprünglich aus Oberhausen/Ruhrgebiet. Nach meiner Ausbildung zum Gymnasiallehrer bin ich 2010 in den Orden der Kapuziner eingetreten. Seit 2013 wohne ich in unserem Kloster in Münster. Zu unserer Ordensausbildung gehört es dazu, für einige Zeit ins Ausland zu gehen. Aus diesem Grund bin ich seit August 2018 für acht Monate in Albanien.

 

Das erste Mal war ich 2015 mit einer Gruppe von Brüdern in Albanien, um Sr. Gratias und Br. Andreas zu besuchen. Mich hat die Situation, die ich damals kennenlernte, beeindruckt, so dass ich 2018/2019 für ein paar Monate nach Fushë-Arrëz kam, um hier mitzuleben.

 

Ich begleite vor allen Dingen Br. Andreas und Franc, den Pastoralassistenten der Pfarrei, wenn beide unterwegs sind. Mit Franc fahre ich in die Dörfer, die zur Pfarrei gehören, um an der Katechese der Kinder und Jugendlichen teilzunehmen. Religionsunterricht ist an den staatlichen Schulen unerwünscht, so dass die Gemeinden für diese Arbeit selbst verantwortlich sind. So kann es sein, dass wir Katechese in einem der Pfarrhäuser haben, oder in den Kirchen selbst, aber auch in einem Lokal, das der Besitzer uns zur Verfügung stellt. Ich bin aber auch bei Krankenbesuchen, den Gottesdiensten oder dem Besuch von Bauprojekten dabei.

 

Albanien ist ein armes Land und die Bergregion im Norden, in der die Missionsstation liegt, ist eine der ärmsten Regionen. Die Infrastruktur ist marode und der Staat sehr schwach, weshalb er sich nicht viel um die Anliegen der Bevölkerung kümmert. Im Winter 2018 begannen deshalb die Proteste der Studenten und Schüler in den großen Städten. Sie wenden sich gegen die allgegenwärtige Korruption von Dozenten und Politikern. Seit ich hier bin, sind viele Jugendliche aufgrund der aussichtslosen beruflichen Perspektive gegangen. Manche sind in Frankreich, Belgien, Italien oder England und hoffen, dort etwas Geld verdienen zu können. Manche von ihnen werden allerdings schnellstmöglich wieder nach Albanien zurückgeschickt. Die Menschen versuchen mit ihrer Situation umzugehen. Sr. Gratias und Br. Andreas versuchen den Menschen mit ihrer Arbeit auf der Missionsstation beizustehen.

 

Nicht ich bringe den Leuten hier etwas, sondern sie geben mir etwas. Sie bringen mir bei, über unsere deutsche Gesellschaft nochmal anders nachzudenken. Wie gehen wir mit unserem Reichtum um? Sind wir uns überhaupt bewusst, wie gut es ist, dass unsere Wirtschaft, Justiz und Demokratie funktionieren? Manchmal braucht es das Fremde, um das Eigene klarer zu sehen.

 

Fushë-Arrëz, 22.01.2019

Br. Jens Kusenberg

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