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Ein „Tante-Emma-Laden“ auf Rädern – in den Dörfern wieder einkaufen können

 

Bei meinen regelmäßigen Besuchen in den verstreuten Dörfern unseres Pfarrgebietes erfahre ich oft die neusten Entwicklungen und Ereignisse, aber auch die Sorgen der Menschen: z.B. dass die Schule wegen der geringen Kinderzahl geschlossen wird, welche Familien aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit weggezogen sind, wo jemand krank ist, wer heiraten möchte, wer in einer Ausbildung ist, dass der Kleinbus nicht mehr fährt, dass es keinen Laden mehr gibt, dass die Wege so schlecht sind, usw.

 

Der albanische Staat hat sich weitgehend aus der Bergregion zurückgezogen. Es gibt fast gar keine Investitionen und Verbesserungen der sozialen Lage. Irgendwie fühlen sich die Menschen deshalb vernachlässigt, im Stich gelassen und abgeschrieben. „Es gibt keine Perspektiven“, sagen die Jungen. „Nur weg hier“!

 

Manchmal frage ich mich dann: Was bedeutet das für uns? Gibt es Wege und Möglichkeiten, die die Situation der Menschen in den armen Bergdörfern verbessern könnten? Und was können wir als Kirche - für viele der einzige Hoffnungsträger - da tun?

 

Unser Hilfsangebot ist mittlerweile vielfältig: Hausbauten, Dachreparaturen, Ausbildungshilfen, Unterstützung älterer Menschen, Hilfen in Notfällen, bei Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten, Mithilfe beim Kauf einer Kuh oder von ein paar Ziegen, das Schweineprojekt u.v.m. Das ist nur möglich, weil uns sehr viele Menschen aus Deutschland und Österreich mit ihren Spenden unterstützen.

 

Was bedeutet es, wenn es in deinem Dorf keinen Laden mehr gibt und Du zu Fuß acht, neun, zehn oder mehr Kilometer nach Fushë-Arrëz laufen musst, um das Nötigste zum Leben deiner Familie zu kaufen wie Salz, Kaffee, Zucker, Nudeln, Getränke, Streichhölzer, die Gaskartusche, das Klopapier usw. Da geht mehr als ein halber Tag drauf, Du hast viel zu schleppen oder das Taxi zum Transport deines Einkaufes ist zusätzlich teuer.

 

Ich erinnere mich gut an den Besuch von Br. Michael Wies, der als Kapuziner und Sozialarbeiter in Frankfurt arbeitet, hier in Albanien vor zwei Jahren. Wir haben gemeinsam die Idee entworfen und weitergesponnen, was wäre, wenn es ein Verkaufsfahrzeug, wie auf dem Markt in Münster oder anderswo geben würde, wenn der Tante-Emma-Laden in die Dörfer zu den Menschen kommt. Das wäre eine große Erleichterung für die Leute dort.

 

Daraufhin machte ich mich im Internet schlau, wo es gut erhaltene, gebrauchte Verkaufsfahrzeuge gäbe, die für unsere schlechten Wege geeignet seien, und fand auch schnell entsprechende Angebote. Mithilfe eines großen Zuschusses der Diözesanstelle Weltkirche / Mission im Erzbistum Köln konnten wir das Fahrzeug – früher als mobile Bäckerei gelaufen – erwerben: Baujahr 2009, Renault Master mit eigens gefertigtem Aufbau durch eine Spezialfirma in Rotenburg /Wümme, Kilometerstand ca. 200.000, Diesel.

Der erste Überführungsversuch ging dann leider schief. Ich konnte das Fahrzeug in Münster in Empfang nehmen, hatte dann aber schon in der Nähe von Frankfurt einen Motorschaden. Die Firma in Rotenburg/ Wümme hat den Schaden komplett ersetzt, einen gebrauchten Motor mit ca. 65.000 Kilometern eingebaut und alle Kosten dafür getragen. Darüber war ich natürlich sehr froh.

 

Der zweite Versuch ging dann gut und glatt. Nur der albanische Zoll machte Probleme, weil sie angeblich keinen Code für ein solches Spezialfahrzeug hätten. Das riecht natürlich nach Korruption. Nach ca. zwei Wochen mit Telefonaten und Schreiben hin und her, konnten wir den mobilen Einkaufsladen dann endlich anmelden und mit einem albanischen Kennzeichen versehen. Das war im Oktober 2017.

 

So ein Projekt funktioniert natürlich nur, wenn der Fahrer zuverlässig die vereinbarten Einkaufszeiten für die Menschen in den Dörfern einhält und die Leute sich auch sicher sind, dass der Wagen kommt. Niemand möchte zwei, drei oder mehr Stunden warten. Leider war das bei dem ersten Fahrer der Fall. Er saß mehr in der Kneipe anstatt vor Ort mit dem Verkaufsfahrzeug in den Dörfern zu sein. Wir haben uns dann nach zwei Monaten getrennt.

 

Der neue Fahrer und Verkäufer, Ded Ndoj, aus dem Dorf Kryezi, Vater von drei kleinen Kindern, macht seinen Job bislang sehr gut. Er fährt die Dörfer regelmäßig an, die Leute kennen die Verkaufszeiten, wissen, dass die Preise in Ordnung und nicht überhöht sind und können wieder einkaufen, was sie zum täglichen Bedarf benötigen, vom Spülmittel bis zum Schokoladenriegel, von der Zahnpasta, über Reis und Mehl bis zur Marmelade, also alles, was der Tante-Emma-Laden auf Rädern so bietet. Und Ded Ndoj verdient damit mittlerweile seinen Lebensunterhalt selbst.

 

Das Projekt „Verkaufsfahrzeug“ wird von den Bewohnern unserer Dörfer gut angenommen. Es ist eine große Erleichterung für ihr tägliches Leben. Es verändert etwas im Kleinen und verschafft den Menschen wieder das Gefühl, doch nicht vergessen und abgeschrieben zu sein.

 

Die Schaffung von Arbeitsplätzen oder der Aufbau einer Fabrik würde natürlich den Menschen hier auf Zukunft hin mehr bringen. Aber, das können wir als Kirche in dieser armen Bergregion nicht leisten.

 

Das Gute an diesem Projekt ist: Die Menschen können jetzt wieder vor Ort einkaufen und manchmal können sie auch anschreiben lassen, wenn sie mal etwas nicht direkt bezahlen können.

 

 

Fushë-Arrëz, 20.09.2018

Br. Andreas Waltermann

 

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