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25 Jahre Missionsstation in Fushë-Arrëz / Albanien - Rückschau, Gegenwart und Perspektive

 

Am 26. April 1995 kamen die beiden deutschen Franziskanerinnen Sr. Gratias Ruf und Sr. Bernadette Ebenhoch nach Fushë-Arrëz, eine heruntergekommene, kommunistische Arbeiterstadt im Nordosten Albaniens. Fushë-Arrëz entstand sozusagen auf dem Reißbrett 1953. Hier fanden Menschen aus den umliegenden Dörfern Arbeit in der Kupferscheide, in den Sägewerken, der Spanplattenfabrik und dem großen LKW-Reparatur-Werk. Damals hatte Fushë-Arrëz ca. 9.500 Einwohner. Eine Kirche war zu der Zeit nicht geplant.

Bild: Wikipedia / Tobias Klenze / CC-BY-SA 4.0

 

Die meisten Menschen hier sind Christen, etwa 8 % sind Muslime – aber das spielte bei der Gründung dieser Stadt ohne Gott keine Rolle. Fushë-Arrëz und die umliegenden Dörfer waren sehr, sehr arm. Das hat sich bis heute kaum geändert.

 

Der frühere Bischof von Shkodër, Frano Ilija, hatte die beiden deutschen Schwestern damals nach Fushë-Arrëz geschickt. Dort wollte niemand hingehen. Unterstützt wurden sie in der Anfangszeit von Don Ernest Troshani, einem älteren albanischen Priester, der fast dreißig Jahre im Straflager der Kommunisten unter unmenschlichen Bedingungen schuften musste. Papst Franziskus hat ihn im Jahr 2016 zum Kardinal erhoben.

 

Die Schwestern begannen recht bald nach ihrer Ankunft damit, die Kinder und Jugendlichen um sich zu sammeln, mit ihnen zu singen, zu beten und Katechese zu halten. Auch organisierten sie soziale Hilfen, wie die Unterstützung mit Lebensmitteln, Bekleidung, Matratzen und Anderem. Immer wieder wurden auch völlig schlechte Häuser armer Familien repariert oder sogar neu gebaut.

 

Gleichzeitig wurde die jetzige Missionsstation, etwas oberhalb der Stadt gelegen, aufgebaut. Sehr tatkräftig haben dabei Gruppen aus dem Bistum Orvieto-Todi in Italien mitgeholfen. Bald entstand auch die Idee, einen Kindergarten zu errichten. Aktuell haben wir 55 Kinder zwischen 2 und 6 Jahren in unserer Kindertagesstätte, darunter auch drei behinderte Kinder.

 

Don Ernest und danach andere Priester, die jeweils angefragt werden mussten, feierten mit den Menschen regelmäßig Gottesdienste und die Sakramente. So haben die Schwestern hier zunächst Kirche aus lebendigen Menschen aufgebaut, mit einem Blick für das Wesentliche von Kirche: Liturgie, Verkündigung des Glaubens und dem Dienst an den Notleidenden. Bis 2008 gab es keinen festen Priester vor Ort. Fushë-Arrëz wurde zuletzt von Puka aus, unserer Nachbarpfarrei, 20 Kilometer entfernt, mitversorgt.

 

Nachdem sich das kirchliche Leben in Fushë-Arrëz etabliert hatte, dachte man auch über den Neubau einer Kirche nach. Dieser Plan wurde in den Jahren 1998 bis 2005 verwirklicht. Die neue Pfarrkirche St. Josef überragt heute mit ihren beiden Türmen die schäbigen Wohnblocks unserer Stadt. Sie bietet Platz für ca. 400 Gläubige. Das Leben in unserer Gemeinde ist lebendig: wir haben viele Ministranten und Lektoren, einen Chor, über 20 Katechisten und Helfer in der Sorge um den Religionsunterricht, den wir als Kirchengemeinde selber ausrichten müssen, und viele Menschen, die sich in der Pfarrei engagieren.

 

Am 18. Oktober 2008 kam ich als Kapuziner und Priester nach Fushë-Arrëz. Nachdem Don Stefanito von Puka wegen Krankheit nach Italien zurückgekehrt war, äußerte der verstorbene Bischof von Sapa, Lucjan Avgustini, seine Sorge und seine Hoffnung, jemanden für Fushë-Arrëz zu finden. Ich meldete mich daraufhin und lebe seitdem auf der Missionsstation.

 

Zunächst wurde mir die Pfarrei Fushë-Arrëz, dann 2009 die Pfarrei Breg, dann 2012 die Pfarrei Kryezi  und 2016 die Pfarrei Dardha anvertraut. Zu unserem großen Pfarrgebiet im Umkreis von 70 Kilometern gehören heute 22 arme Bergdörfer und die Kleinstadt Fushë-Arrëz. In den kleinen Dörfern sind wir zweimal monatlich mit Katechese und einmal monatlich mit einer Eucharistiefeier präsent, in Breg und Kreyezi feiern wir zweimal monatlich Gottesdienst und in der Hauptpfarrei Fushë-Arrëz jeden Sonntag.

 

Aufgrund der sehr hohen Arbeitslosigkeit in unserer Stadt und den fehlenden Perspektiven für junge Menschen und Familien erleben wir aktuell wieder einen sehr starken Umbruch im Leben unserer Region. Viele Familien ziehen weg, die Dörfer entvölkern sich zusehend, es gibt immer weniger Kinder und es werden kaum noch Familien gegründet.

 

Oft bleiben nur die Alten, Familien mit vielen Kindern, mit behinderten Angehörigen und solche, die materiell nicht in der Lage sind, sich örtlich zu verändern. In den Köpfen junger Menschen herrscht die Meinung vor: nur weg hier, in Albanien gibt es keine Chance.

 

In den letzten 10 - 15 Jahren ist die Bevölkerung in Fushë-Arrëz um mehr als 6.000 Menschen zurückgegangen. Der Trend, in die großen Städte Tirana, Shkodër oder Lezha zu ziehen, hält unvermindert an. In unserem großen Pfarrgebiet leben jetzt noch etwa 4.500 Katholiken. In den meisten Dörfern gibt es keine Schule und keinen Laden mehr. Die Infrastruktur wie z.B. die Wege, die Kanäle zur Bewässerung und die Stromversorgung verschlechtern sich deshalb oft. Von Seiten des Staates gibt es so gut wie keine Investitionen. Die Bergregion um Fushë-Arrëz herum gilt als die ärmste in Albanien. Sehr viele Menschen leben von der geringen Sozialhilfe, zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.

 

Korruption ist alltäglich und allgegenwärtig, sei es in der kommunalen Verwaltung, im Gesundheitswesen, in der Schule – überall. Versicherungen, Altersversorgung und Krankenkassen oder Mieterschutz sind nicht existent. Manchmal denke ich: Albanien ist Afrika.

 

Für die meisten Menschen ist die Kirche der einzige Hoffnungsträger. Da brennt in einem Dorf z.B. ein Haus ab, die Kommune speist die Menschen mit einer symbolischen Spende ab, mit der man nicht einmal das Nötigste zum Wiederaufbau anschaffen kann. Da wird jemand plötzlich schwer krank, die Sozialhilfe reicht nicht aus für den Transport ins Krankenhaus nach Puka. Da beendet ein sehr begabter Schüler die 9. Klasse und die Eltern sind so arm, dass sie nicht an Abitur oder Studium denken können. Die einzige Perspektive für solche jungen Menschen ist dann: mit der Kuh zu gehen.

 

Seit Jahren unterstützen uns sehr viele Einzelpersonen, Pfarrgemeinden, Vereine und Gruppen aus Deutschland und Österreich durch ihre solidarischen Spenden. Nur deshalb können wir Menschen in Notsituationen hier helfen: durch Hausbauten, durch Reparatur von Dächern, durch Ausbildungshilfen für Schüler und Studenten, durch Unterstützung in Krankheitsfällen und existentiellen Notlagen. Ich bin sehr dankbar für diese vielen Menschen, die unsere Arbeit hier mittragen, für die schönen Initiativen, die Situation der Menschen hier zu verbessern und Not zu lindern. Da wird etwas von der Vorsehung Gottes und von geschwisterlicher Solidarität auch über Grenzen hinweg spürbar.

 

Was uns bewegt auf Zukunft hin? Natürlich die Frage, wie geht es mit der Missionsstation in Fushë-Arrëz weiter. Seit 2016 leben nur Sr. Gratis und ich dauerhaft auf der Missionsstation. Zwischenzeitlich war auch Br. Jens Kusenberg aus der deutschen Kapuzinerprovinz acht Monate lang hier. Sr. Gratias ist bei guter Gesundheit, aber mittlerweile 79 Jahre alt und ich bin 62. Wir halten seit über einem Jahr Ausschau nach einer anderen franziskanischen Schwesterngemeinschaft, aber bislang ohne Erfolg. Von Seiten der Deutschen Kapuziner gibt es eine schöne Perspektive für dieses Jahr. Br. Christian Albert wird die kleine Präsenz hier ab Sommer  2020 verstärken.

 

Natürlich bewegt uns auch die Frage: wie können wir auch in Zukunft Menschen für ein Leben als Christen und für den Glauben an Gott und seine Liebe gewinnen? Welche Veränderungen sind notwendig, um das religiöse Leben bei aller Schwere des Alltags zu fördern? Wie wird die Pastoral in dieser vergessenen Bergregion in den nächsten Jahren aussehen?

 

Schon jetzt stellen wir uns darauf ein. Zum Beispiel haben wir zu Beginn des Katechetischen Jahres im September 2019 schon 3 mal 2 Dörfer für den Religionsunterricht zusammengelegt. Das wird vermutlich auch mit den Gottesdiensten geschehen. Wir wollen auch verstärkt mit jungen Familien und mit Erwachsenen arbeiten. Sie sind die ersten Katecheten für ihre Kinder. Wie überall, ist auch von uns als Kirche im Bistum Sapa in Albanien ein Umdenken erforderlich. In Zukunft werden wir immer mehr auf die enge Zusammenarbeit mit Laien angewiesen sein. Da ist unser Bistum mit den derzeit 15 hauptamtlichen Pastoralassistenten auf einem guten Weg. Einer davon ist Franc Doda, mit dem ich täglich eng zusammenarbeite.

 

Am 26. April 2020 wird die Missionsstation und damit der Wiederbeginn kirchlichen Lebens nach der Zeit des brutalen Kommunismus in Albanien 25 Jahre alt. Das ist ein Grund zu danken: Gott, dem Geber alles Guten, der uns Menschen mit seinem missionarischen Geist bewegt, und den vielen Menschen, die uns mit ihrem Gebet und ihrer Mitsorge begleiten und unterstützen.

 

Wegen der Corona-Pandemie werden wir auf eine größere Feier verzichten. Der Virus legt Albanien schon seit Anfang März 2020 lahm. Öffentliche Gottesdienste und Feierlichkeiten sind derzeit nicht möglich. Und trotzdem sagen wir: Gehen wir mutig weiter in die Zukunft mit Gottes Hilfe.

 

 

20.04.2020

 Br. Andreas Waltermann

 

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